Ein Essay: Appell für den Frieden auf dieser Welt
„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn der Frieden ist der Weg“ (Gandhi)
Es war Juni. Und plötzlich war der Krieg ganz nah. Vor mir saßen vier ukrainische Flüchtlingskinder am Robert-Gerwig-Gymnasium in Hausach. Zwei von ihnen schon fast erwachsen, zwei noch Kinder. Sie sollen Deutsch lernen, nein, eigentlich müssen sie es. Plötzlich gibt es auch Deutsch-Kurse für Flüchtlingskinder, dachte ich mir. Als in Syrien Krieg war, gab es das nicht. Aber das war ja auch weit weg. Putins Krieg ist also auch hier angekommen – im Kinzigtal.
Die ersten Überlegungen, die man hat, sind: Wie geht es diesen Kindern? Was fühlen sie? Was denken sie? Es war dann doch ganz einfach, nicht das Deutschlernen, aber das Verstehen unter einander und das Lernen von einander.
Was haben diese Kinder alles erlebt? Wir, die wir in Frieden aufgewachsen sind, können es nicht erahnen. Nur in Momenten, in denen die Fliegerstaffel der Luftwaffe ihre Übungsflüge überm Kinzigtal macht, wird klar, welches Trauma diese Kinder durchlebt haben müssen, wenn man sieht, wie sie zusammen schrecken. Nur mit Gutzureden ist die Situation noch zu retten. Gerade die Jüngsten, Matvii und Daria, können ihre Traurigkeit nicht so gut verstecken. Bei ihnen wird deutlich, was es heißt, aus seiner gewohnten Umgebung gerissen zu werden und in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und fremden Menschen wieder aufzuwachen. Anna und Ivan haben gleich Anschluss gefunden und sind offen für Neues. In vermeintlich unbeobachteten Momenten merkt man es ihnen jedoch auch an.
Eines Tages im Juli sortierte Anna gerade ihr Mäppchen. Sie zog ein Abzeichen heraus. Das Abzeichen ihrer Schule. Die Schule, wie sie mir in gebrochenem Deutsch erklärte, gestern von Putin zerbombt wurde. Da war er wieder: Der Krieg! Zwischenzeitlich war er für uns schon wieder weiter weg, auch wenn unsere Politiker uns auf einen schwierigen (Gas-)Winter einschwörten, die Benzinpreise in den Himmel stiegen – man hatte sich mit der Situation arrangiert. Die Deutschkurse liefen, die ukrainischen Schüler machten tolle Fortschritte. Plötzlich war er wieder ganz nah. Anna und Ivan erzählten mir von Charkiw, Annas und Arinas Heimatstadt, die es so nie wieder geben wird. Ihre Freizeitparks, die nun zerstört sind. Und warum?
„Einer muss den Frieden beginnen, wie den Krieg!“, wie Stefan Zweig sagte. Den Krieg in der Ukraine müssen unsere Diplomaten beenden, aber der Frieden muss hier bei uns und zwischen uns schon beginnen! Und das tut er! Der Frieden ist der Weg! Unsere ukrainischen Flüchtlingsschüler haben dem Frieden den Weg geebnet – in der Schulgemeinschaft, bei ihren Gastfamilien, in den Orten, an denen sie aufgenommen wurden. Ihr Schicksal ist unser Schicksal! Und das ist bei unseren Schülern auch angekommen. Sie haben so viel Solidarität entwickelt, Hilfestellung geben, Empathie gezeigt, wie es kein Unterricht jemals hätte leisten können. Und genau das ist der Weg des Friedens!
Es ist so schlimm, dass ihr aus eurer Heimat fliehen musstet, aber Danke, dass ihr uns und unseren Schülern den Weg des Friedens durch eure Anwesenheit gezeigt habt.
Nicole Gentzsch
Zum Hintergrund:
Ursula Bestal und Nicole Gentzsch unterrichteten die vier ukrainischen Schüler (später kamen noch zwei dazu) in Deutsch als Zweitsprache am Robert-Gerwig-Gymnasium. Der Unterricht findet während der Schulzeit täglich statt. Parallel besuchen die Schüler den Fachunterricht mit ihren zugeteilten Klassen.